Zwei Expert*innen vom ZDH im Interview

Die neuen Regelungen zur Fachkräfteeinwanderung - was ändert sich und welche Rolle wird die Berufsanerkennung weiterhin spielen?

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von Unternehmen Berufsanerkennung
22.11.2023 3 Minuten Lesezeit

Was sind die zentralen Neuerungen und welchen Vorteil hat es, das Anerkennungsverfahren in Deutschland zu starten? Diese und weitere Fragen, haben wir Daike Witt und Jan Dannenbring vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) gestellt. Daike Witt beschäftigt sich als Referatsleiterin in der Abteilung Berufliche Bildung u.a. mit der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen im Handwerk. Jan Dannenbring ist Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt / Tarifpolitik und beschäftigt sich mit den Themen Fachkräfteeinwanderung und Aufenthaltsrecht.

 

Wie schätzen Sie die Rolle der Berufsanerkennung im Rahmen der Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung ein?

Daike Witt: „Es bleibt auch weiterhin bei dem allgemeinen Grundsatz des Zuwanderungsrechts, dass nur Fachkräfte - das heißt, Personen mit einem deutschen oder in Deutschland anerkannten Abschluss - zur Beschäftigung nach Deutschland kommen dürfen. Die Berufsanerkennung bleibt deshalb, auch bei einer Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen, im Regelfall für die Zuwanderung erforderlich. Das Anerkennungsverfahren muss allerdings nicht mehr zwingend vor der Einreise nach Deutschland eingeleitet werden, sondern es ist auch möglich, den Prozess erst in Deutschland anzustoßen. Auf die Anerkennung ausländischer Abschlüsse wird im Zuwanderungsrecht künftig nur dann verzichtet, wenn die Arbeitsvergütung in Deutschland über bestimmten Schwellenwerten liegt oder der Arbeitgeber nach Tarif entlohnt. Ohne einen im Ausland erworbenen Berufsabschluss kann man auch in der Zukunft nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, wie z. B. über Sonderkontingente für Arbeitskräfte aus dem Westbalkan, nach Deutschland einreisen.“

 

Inwiefern ist es von Vorteil, dass der Anerkennungsprozess erst in Deutschland angestoßen werden kann?

Daike Witt: „Die schnelle Einreise- und Beschäftigungsmöglichkeit ist der größte Vorteil der neuen Regelung im Aufenthaltsgesetz. Wenn ein Arbeitsverhältnis angebahnt ist und eine Anerkennungspartnerschaft geschlossen wird, kann auf dieser Grundlage ein Visum und eine Aufenthaltsberechtigung erworben werden. Der für die Personen aus dem Ausland oftmals als komplex empfundene Anerkennungsprozess muss erst in Gang gesetzt werden, wenn die ersten Schritte des Ankommens in Deutschland bereits gemacht worden sind und die Perspektive auf eine längerfristige Integration gerichtet werden kann. Bei einem Anerkennungsverfahren, das aus dem Ausland heraus betrieben wird, verstreicht aus Sicht der ausländischen Fachkräfte und ihrer deutschen Arbeitgeber oft zu viel kostbare Zeit bis zu einer Entscheidung. Der Gesamtprozess der Erwerbsmigration erscheint dann als zu aufwändig, um dem akuten Fachkräftemangel zu begegnen. Personen, die sich bereits im Inland befinden, können zudem wesentlich leichter mit der für die Anerkennung zuständigen Stellen in Deutschland in Kontakt treten und sich dort individuell zum Verfahren und den erforderlichen Nachweisen und Unterlagen beraten lassen. Bei solchen Beratungsgesprächen kann auch der deutsche Arbeitgeber oder ein Sprachmittler begleiten und unterstützen. Das führt zu vollständigen und zielführenden Anerkennungsanträge, die i.d.R. leicht und schnell bearbeitet werden können.“

 

Was sind, laut Ihrer Einschätzung, mit den neuen Regelungen die größten Erleichterungen für Unternehmen?

Jan Dannenbring: „Ein zentrales Element der Neuregelung ist eine weniger starre Verbindung zwischen der Berufsanerkennung und der Einwanderung. Erwähnt wurde bereits die Anerkennungspartnerschaft. Hinzu kommt die neue Regelung in § 6 BeschV, die unter bestimmten Voraussetzungen die Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen mit berufspraktischen Erfahrungen ermöglicht. Auch der neu geschaffenen Aufenthaltstitel zur Durchführung der Qualifikationsanalyse, der eine Feststellung der vorhandenen beruflichen Qualifikationen ausländischer Fachkräfte vor Ort, bspw. in einem Berufsbildungszentrum des Handwerks, ermöglicht, trägt dazu bei, dass der Zuwanderungsprozess erleichtert wird. Für Unternehmen ist es zudem attraktiv, dass sie zukünftig eine voll anerkannte Fachkraft unabhängig von der jeweiligen Ausbildung qualifiziert beschäftigen können. Dies erhöht die Flexibilität in der Personaleinsatzplanung. Insgesamt steht zukünftig den Unternehmen ein noch breiteres Spektrum an Aufenthaltstiteln zur Verfügung, um ausländische Fachkräfte zu beschäftigen.“

 

Wo sehen Sie Herausforderungen bei den neuen Regelungen?

Jan Dannenbring: „Die größte Herausforderung wird die Umsetzung der neuen Regelungen in der Praxis sein – sowohl für die Verwaltung als auch für die Unternehmen. So begrüßenswert in der Sache die erwähnten neuen Aufenthaltstitel für die Beschäftigung ausländischer Fachkräfte sind, so erhöhen sie zunächst die ohnehin schon beträchtliche Komplexität der Regelungen im bestehenden Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Die verwaltungstechnische Umsetzung dieser komplexen Regelungen durch die deutschen Auslandsvertretungen für die Vergabe der passgenauen Arbeitsvisa und vor allem durch die ohnehin schon stark belasteten Ausländerbehörden im Inland wird die nächste Herausforderung sein. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen des Handwerks, die über keine eigenen Personalabteilungen verfügen, sind aber auf Unterstützungsstrukturen vor Ort angewiesen, um von den neuen Zuwanderungswegen des novellierten Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in der Praxis zu profitieren. Die im Gesetz beschlossene Ausweitung des Beratungsangebotes der vom Bundesamt für Flüchtlinge und Integration (BAMF) betriebenen telefonischen Hotline „Arbeiten und Leben in Deutschland“ ist insoweit nicht ausreichend.“

 

Welche Branchen profitieren, Ihrer Meinung nach, am meisten von den Neuerungen bei der Fachkräfteeinwanderung, und warum?

Jan Dannenbring: „Die Neuregelung von § 6 BeschV, der erstmals unter bestimmten Voraussetzungen die Beschäftigung ausländischer Fachkräfte mit berufspraktischer Erfahrung ermöglicht, ohne dass zwingend ein Anerkennungsverfahren durchgeführt werden muss, dürfte vor allem für jene Handwerksbranchen attraktiv sein, die neben qualifizierten und anerkannten Fachkräften auch einen Bedarf an berufserfahrenen Fachkräften haben. Ob diese Regelung aber tatsächlich den Interessen und Bedürfnissen der Betriebe entspricht oder ob diese nicht doch ein stärkeres Interesse an qualifizierten Fachkräften mit einem anerkannten Berufsabschluss haben, muss die Praxis zeigen. Ebenso muss die Praxis und die Entwicklung des Arbeitsmarktes zeigen, ob die beschlossene Verdoppelung der Anzahl der Zustimmungen der BA im Rahmen der Westbalkan-Regelung von derzeit 25.000 auf 50.000 von den Betrieben des Baugewerbes genutzt und ausgeschöpft wird. Jedenfalls bieten die zahlreichen Neuerungen des novellierten Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für viele Branchen eine Vielzahl von Möglichkeiten, um passgenau ausländische Fachkräfte zu beschäftigen.“